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Glasfaserausbau: Schnelles Internet – doch zu welchem Preis?
Mittlerweile ist es in den Städten und Kommunen ein bekanntes Bild. Plakate der Netzbetreiber kündigen den Anschluss an das Glasfasernetz an. Kurz darauf klingelt es, bei sogenannten Haustürgeschäften wird der vermeintlich beste Vertrag angeboten. Sind möglichst viele Vorverträge in einem Gebiet abgeschlossen, beginnen die Arbeiten. Wie ein Lindwurm schlängeln sich die Kolonnen durch die Straßenzüge, heben Schächte aus und verlegen Leerrohre für die dünnen Glasfaserkabel.
Vorfahrt für Glasfaser
Nicht ohne Stolz verkündete Bundesverkehrsminister Volker Wissing am 24. Juni 2024: "Der Glasfaserausbau geht weiter schnell voran. Mittlerweile ist die hochleistungsfähige Glasfasertechnologie bereits für jeden dritten Haushalt verfügbar." Zwei Jahre zuvor legte die Gigabitstrategie der Bundesregierung dazu die Rahmenbedingungen fest. Aufgeführt sind eine Reihe von Maßnahmen, um Genehmigungsverfahren in der Bauordnung und bei den straßenrechtlichen Vorschriften zu beschleunigen. Dazu unterstützt der Bund die Kommunen bei der Vergabe von Aufträgen an die Netzbetreiber. Wer sich wundert, warum Arbeiten zur Glasfaserverlegung innerhalb weniger Stunden abgeschlossen sind, während das Ausbessern von Schlaglöchern mitunter Jahre dauern kann, findet dort möglicherweise Antworten.
Hauptsache schnell
Es wird deutlich: Die Bundesregierung hat mächtig Druck. Noch 2023 bescheinigte die Europäische Kommission Deutschland "schwere Mängel" beim Ausbau von Glasfaserkabeln. Die Gigabitstrategie muss ein Erfolg werden, wenn Deutschland den verlorenen Posten bei der Digitalisierung wieder aufholen will. Dass dazu "gut ausgebildete und kompetente Fachkräfte" nötig sind, erkannte die Bundesregierung zwar, zu welchen Bedingungen die Arbeiten in der Praxis stattfinden sollen, darüber schweigt sich die Bundesregierung jedoch aus. Von "knappen Kapazitäten im Tiefbau" ist die Rede, gleichzeitig sollen es die "Kräfte des Marktes und ein funktionierender Wettbewerb" richten. Ein Trugschluss.
Organisierte Kriminalität verdient
Die Arbeiten auf den Baustellen wirken geradezu gehetzt. Fehlende oder improvisierte Absicherungen der Kabelschächte, eine mangelnde Einrichtung der Baustellen ohne Toiletten bis hin zu Städten und Kommunen, die über beschädigte Straßen und Gehwege berichten. Dazu kommen immer wieder Berichte über Arbeitsausbeutung und großangelegte Einsätze des Zolls sowie Kräften der Staatsanwaltschaft und der Bundespolizei. Im Februar 2023 erließ das Amtsgericht Marburg Haftbefehle gegen drei Beschuldigte, die in organisierter Form Steuern, Sozialversicherungsbeiträge sowie Beiträge an die Sozialkasse der Bauwirtschaft (SOKA-BAU) hinterzogen haben sollen. Der Gesamtschaden beläuft sich alleine in diesem Fall auf fünf Millionen Euro.
Fehler im System
Die Leidtragende sind wie so oft in erster Linie die Beschäftigten. Die Vorwürfe im gesamten Bundesgebiet reichen von illegaler Beschäftigung über Lohnprellerei bis zu Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz. Wie ist das möglich? Blicken wir dazu auf die Geschäftsbeziehungen: Durchgeführt wird der Ausbau des Glasfasernetzes von Anbietern wie Telekom, Vodafone, Deutsche Glasfaser, o2 oder 1&1 Versatel. Diese stellen Anträge zur Leitungsverlegung bei den Städten und Kommunen. Die eigentlichen Arbeiten werden dabei den sogenannten Generalunternehmern überlassen. Das sind Baufirmen, die im Auftrag der Telekommunikationsanbieter tätig werden. Da diese aber nicht immer über genügend Personal verfügen, werden die Aufträge weitergereicht an sogenannte Sub-Unternehmer. Nicht nur die Gewinnmargen werden so immer kleiner, auch die Verantwortung verlagert sich ins Nichts.
Dubiose Geschäftsbeziehungen
Bei unseren Recherchen stoßen wir immer wieder auf Anzeigen von Firmen im Internet, die gezielt nach Beschäftigten und Nachunternehmen zum Glasfaserausbau suchen. Nicht selten weisen die Firmen, welche die Inserate auf den Anzeigenportalen geschaltet haben, eine relativ kurze Firmenhistorie auf. Oft liegen Neueintragungen im Handelsregister nur einige wenige Monate zurück. Das legt den Verdacht nahe, die Firmengründung hat nur den Zweck der Rekrutierung von Beschäftigten, um ihre Arbeitsleistung dann weiter zu verkaufen. Wer letztlich auf der Baustelle den Spaten ansetzt oder den Kleinbagger bedient, das wissen die Generalunternehmer nicht und die Telekommunikationsunternehmen erst recht nicht.
Tiefbau ist Tiefbau
Wie lässt sich die Intransparenz des weit verbreiteten Sub-Subunternehmer-Systems bekämpfen? Dazu muss das Rad nicht neu erfunden werden. Das Ausheben von Schächten und das Verlegen von Leerrohren ist eine klassische Tätigkeit im Tiefbau und fällt damit unter die tariflichen Regelungen des Bauhauptgewerbes. Unternehmen, die hier bauen, unterliegen einer Meldepflicht bei der SOKA-BAU. Somit wäre bekannt, welches Unternehmen tatsächlich tätig ist. Die Zustände machen deutlich: Damit dies zur Pflicht wird, braucht es dringend eine entsprechende Verordnung von Seiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Zusätzlich muss die Generalunternehmerhaftung auf die Auftraggeber ausgeweitet werden. Im Klartext: Glasfaseranschluss-Anbieter haften für die Verstöße auf den Baustellen! Wer den Auftrag vergibt, muss für die Ausführung auch geradestehen. Zudem muss bereits nach einer einzigen Weitergabe des Auftrags Schluss in der Subunternehmerkette sein. Aber auch die Förderung muss überarbeitet werden. Aus dem Bundeshaushalt wurden Milliarden für die Auftragsvergabe bereitgestellt. Hier muss gelten: Gleiches Spiel für alle – ohne Tariftreue gibt es kein Geld vom Staat! Die Bundesregierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, all dies bei der Gigabitstrategie nicht berücksichtigt zu haben. Bevor sie den Glasfaserbau weiter forciert, ist jetzt erst einmal Tempo beim Kampf gegen die Missstände angesagt.
Text: Tobias Wark
Der Artikel erschien ursprünglich in der September-Ausgabe des Grundstein.