Wahl
(Foto: Ulleo / Pixabay)
10.03.2021
Service

Das Wahljahr 2021 ist von Unsicherheiten geprägt: Für uns alle stellt sich die Frage, wie es weiter mit der Corona-Pandemie geht, was das für gesellschaftliche und soziale Folgen und Umbrüche mit sich bringt und wie zukünftig die Lasten der Pandemie ausgeglichen werden.

Der Klimawandel schreitet voran und erfordert politische Maßnahmen, die Veränderungen für jeden Einzelnen bedeuten. Die Lebensverhältnisse in Städten und auf dem Land driften immer mehr auseinander. Viele müssen sich ganz konkret fragen: was bedeutet das für meinen Arbeitsplatz heute und morgen, wie schaut es mit der Sicherheit meines Einkommens aus, kann ich mir noch meine immer teurere Miete leisten oder kann ich mich auch in Zukunft noch auf meine gesetzliche Kranken-, Arbeitslosen und Rentenversicherung zur Absicherung der großen Lebensrisiken verlassen. 

Ganz konkret haben viele Kolleg*innen in den Phasen des Lockdowns persönlich erlebt, wie schnell sich gewohnte und für sicher gehaltene Lebensverhältnisse ändern. Von heute auf morgen mussten sie die Betreuung von Kindern und Familienangehörigen übernehmen. Für die Arbeitnehmer*innen in der Bauwirtschaft, der Baustoffindustrie, der Gebäudereinigung und der Land- und Forstwirtschaft lief aber meist der Arbeitsalltag "ganz normal" mit hoher Arbeitsdichte und zusätzlich mit pandemiebedingten Belastungen weiter. Ein Ausweichen auf Arbeit von zu Hause aus ("Homeoffice") war für die Meisten vor allem im gewerblichen Bereich nicht möglich.

Gleichzeitig haben sich gerade auch die Kolleg*innen in den IG BAU-Branchen mit ihrem großen Einsatz und ihrer Flexibilität als "Motor unserer Wirtschaft" erwiesen. 

Als Teil des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) setzt sich die IG BAU als starke Gewerkschaft für gute Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, nachhaltige Entwicklung, Gleichstellung und eine gerechte Zukunft sowohl im ländlichen Raum als auch in unseren Städten ein. 

Gemeinsam mit dem DGB machen wir uns für eine (geschlechter-)gerechte Steuerpolitik stark, die einen Umbau des Ehegattensplittings zugunsten gleichberechtigter Partnerschaften vorsieht und Finanzmarktakteure sowie hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften stärker in die Verantwortung nimmt. Die großen Lasten der Pandemie, die auf rund 1,5 Billionen Euro geschätzt werden, müssen gerecht, auch unter Einbeziehung großer Vermögen aufgeteilt werden. Vor dem Hintergrund der wachsenden Vermögenskonzentration (nach jüngsten Daten des DIW verfügt das "oberste Prozent" über rund 35 Prozent des Nettovermögens) plädiert die IG BAU für einen Ausgleich entsprechend Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 des Grundgesetzes, der sich am Lastenausgleichsgesetz von 1952 orientiert.

Wir fordern eine verlässliche und gute soziale Absicherung gegen die großen Lebensrisiken für alle, insbesondere eine eigenständige soziale Sicherung beider Geschlechter. Dazu zählt, dass die gesetzliche Krankenversicherung vollständig paritätisch von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen finanziert bleibt. Die Bewältigung des Klimawandels und der notwendige sozialökologische Umbau unserer Wirtschaft muss so vorangetrieben werden, dass betroffene Beschäftigte keine Angst vor Arbeitsplatzverlusten haben müssen. Nationale und internationale Umweltpolitik muss sozial gestaltet werden.

Internationale Arbeitsmigration muss fair geregelt werden und darf bestehende gute Standards nicht gefährden. Tarifbindung, Mitbestimmung und demokratische Beteiligung am Arbeitsplatz sind auch in kleineren Betrieben auszubauen. Die Rahmenbedingungen für Arbeitszeitregelungen müssen unter Berücksichtigung sozialer Aspekte so gestaltet werden, dass sie familiäre und ehrenamtliche Aufgaben berücksichtigen, die partnerschaftliche Teilung bezahlter und unbezahlter Arbeit fördern und insgesamt die Optionen für Beschäftigte erhöhen. So können Ängste vor sozialem Abstieg und Ausgrenzung zurückgedrängt werden. Damit entziehen wir ein Stück weit auch politischen Strömungen den Boden, die soziale Ängste mit nationalistisch-konservativen Parolen und Neidkampagnen gegen Schwächere beantworten. Dazu sagen die IG BAU und alle DGB-Gewerkschaften klar "Nein". Denn wir wissen: Grenzen verlaufen zwischen Arm und Reich – nicht zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen. 

Der DGB formuliert Forderungen zur Bundestagswahl im Interesse der Beschäftigten aller Branchen. Die IG BAU setzt folgende zusätzliche Akzente für die Beschäftigten in der Bauwirtschaft, der Baustoffindustrie, der Gebäudereinigung und in den "Grünen Branchen".

I. Rente muss für ein gutes Leben reichen!

1. Stärkung der gesetzlichen Rente, Ausbau zur Bürgerversicherung!

Trotz der Einführung der Grundrente zum 1. Januar 2021 sind viele Beschäftigte gerade auch in IG BAU-Branchen von Niedrigrenten bedroht, die ihren Lebensstandard nicht mehr sichern können. Gerade in den IG BAU-Branchen schaffen es viele aufgrund der hohen Belastung durch harte Arbeit nicht bis zur Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Diskussionen über eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters erteilt die IG BAU eine klare Absage. Denn das würde für die Betroffenen faktisch unzumutbare Rentenkürzungen bedeuten. Das Niveau der gesetzlichen Rente muss daher wieder angehoben werden. Gemeinsam mit dem DGB fordern wir, das aktuelle Rentenniveau über das Jahr 2025 hinaus dauerhaft zu stabilisieren und perspektivisch auf mindestens 50 Prozent zu erhöhen. Dafür müssen ohnehin erforderliche Beitragserhöhungen vorgezogen werden. Für Beschäftigte stehen dem höhere Rentenansprüche in Zukunft gegenüber, so dass ineffiziente Modelle der privaten Vorsorge wie die Riester-Rente wieder wegfallen können. 

Dies kann aber nur der erste Schritt sein. Wir brauchen endlich einen Einstieg in die Fortentwicklung unseres Rentensystems zu einer Bürgerversicherung, auch um die Beitragsbasis der gesetzlichen Rentenversicherung auszuweiten. Solo-Selbständige müssen daher regulär in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Gesamtgesellschaftliche Verpflichtungen wie zum Beispiel die Erziehung von Kindern und die Pflege von Angehörigen müssen bei der Rente angemessen anerkannt und aus Steuermitteln finanziert werden. Zur Finanzierung der Rentenversicherung müssen deshalb die Steuerzuschüsse deutlich erhöht und Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen herangezogen werden. 

2. Flexible und sichere Übergänge in die Rente schaffen!

Bis 67 arbeiten – das schaffen viele Beschäftigte gerade in den IG BAU-Branchen nicht. 

Wir brauchen flexible und abgesicherte Übergänge von der Arbeit in die Rente vor der Regelaltersgrenze, die auch bei Beschäftigten mit belastenden Tätigkeiten, in Kleinbetrieben und mit unterdurchschnittlichen Einkommen funktionieren. Die IG BAU fordert dafür staatliche Unterstützung für das Altersflexi-Geld: Eine neue Art Kurzarbeitergeld für Beschäftigte, die nachweislich aus gesundheitlichen Gründen ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr (oder nicht mehr vollschichtig) ausüben können und denen eine Kündigung droht. 

Zielgruppe sind Beschäftigte zwischen 58 und 63 Jahren mit langer Branchenzugehörigkeit. Finanziert werden soll das  Altersflexi-Geld von Staat und Tarifvertragsparteien gemeinsam, etwa wie die Regelungen zum Saison-Kurzarbeitergeld. Dafür fordern wir eine ausreichende staatliche Beteiligung, im ersten Schritt für das Bauhauptgewerbe und Dachdeckerhandwerk etwa 70 Millionen Euro pro Jahr.

Alternativ sind auch spezielle Regelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung denkbar, zum Beispiel für belastende berufliche Tätigkeiten ähnlich den in Österreich praktizierten Verfahren.

II. Wir bauen für’s Leben: Wohnungsbau und Infrastruktur

1. Bezahlbaren Wohnungsbau stärken!

In Deutschland fehlen über eine Million bezahlbarer Wohnungen für Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen. Die Politik hat in den letzten Jahren zwar einige Maßnahmen ergriffen, diese gehen jedoch vielfach nicht weit genug oder an den Problemen der Wohnungsversorgung gänzlich vorbei. Die Bundesregierung hat in der Legislaturperiode 2017-21 ihre eigenen Ziele im Wohnungsbau weder quantitativ noch qualitativ erreicht. Zusätzlich droht die Corona-Pandemie auch die Schieflage auf den Wohnungsmärkten zu verschärfen. Die IG BAU fordert deshalb eine grundlegende Neuausrichtung der Wohnungsbaupolitik:

  • Die Finanzhilfen des Bundes für sozialen Wohnungsbau müssen auf mindestens 3 Milliarden Euro jährlich angehoben werden, eine angemessene Beteiligung der Länder ist dabei sicherzustellen. 
  • Für Haushalte, die die Einkommensgrenzen des sozialen Wohnungsbaus knapp überschreiten, muss mit zusätzlich 3 Milliarden Euro pro Jahr der Bau bezahlbarer Mietwohnungen in angespannten Wohnungsmärkten gefördert werden.
  • Zur Unterstützung des sozialen und bezahlbaren Wohnungsbaus fordern wir die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit für Unternehmen, die dauerhaft preisgebundene Sozialwohnungen sowie bezahlbare Mietwohnungen bereitstellen. Ziel muss dabei sein, breite Schichten der Bevölkerung zu versorgen. Steuererleichterungen, Zuschüsse oder vergünstigte Grundstücke können sowohl öffentlichen als auch privaten oder genossenschaftlichen Unternehmen gewährt werden, die sich auf dauerhafte Gewinn- und Mietpreisbegrenzungen, Zweckbindung ihres Vermögens, Klimaschutz, Tariftreue und Mitbestimmung verpflichten. 
  • Der Bund soll einen öffentlichen Bodenfonds zur Unterstützung von Städten und Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten aufbauen. Dabei sollen Überschüsse aus Grundstücksgeschäften im Fonds verbleiben und für Ankauf und Entwicklung neuer Flächen genutzt werden. 
  • Die Vergabe von öffentlichen Grundstücken für Wohnungsbau sollte nur noch im Konzeptverfahren, vorrangig im Erbbaurecht, erfolgen und eine dauerhafte soziale Nutzung der Grundstücke vorsehen. 
  • Die generellen Abschreibungssätze im Mietwohnungsneubau sollten dauerhaft von zwei auf drei Prozent angehoben und damit an den Lebenszyklen technischer und energetisch relevanter Bauteile ausgerichtet werden. 
  • Um die Emissionsminderungsziele im Gebäudesektor 2030 beziehungsweise 2050 zu erreichen, muss die energetische Sanierungsrate des Gebäudebestandes von derzeit circa einem Prozent jährlich auf über zwei Prozent jährlich gesteigert werden. Dazu ist eine Erhöhung und Verstetigung der Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude (BEG) auf 7 Milliarden Euro pro Jahr nötig. Durch gezielte Förderinstrumente und soziale Mietrechtsreformen müssen die Lasten zwischen Vermietern, Mietern und Staat gerecht verteilt und steigende Wohnkosten vor allem bei einkommensschwachen Haushalten vermieden werden.

2. Klimaschutz und öffentliche Daseinsvorsorge stärken!

Öffentliche Investitionen wurden in Deutschland bis vor wenigen Jahren stark vernachlässigt und bleiben hinter dem Bedarf zurück. Bereits vor der Corona-Krise war offensichtlich, dass die Infrastruktur unseres Landes auf Verschleiß gefahren wird, die Pandemie hat die Probleme nur stärker sichtbar gemacht. Hinzu kommt, dass zur Erreichung der Klimaschutzziele deutliche Minderungen der CO2-Emissionen nötig sind, vor allem in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Um dies zu bewältigen, brauchen wir eine langfristig angelegte, sozial-ökologische staatliche Investitionsoffensive. Deswegen fordert die IG BAU: 

  • Eine endgültige Abkehr von der "schwarzen Null", das heißt eine investitionsfreundliche Finanzpolitik und eine Verstetigung der öffentlichen Investitionen: Eine Rückkehr zur Schuldenbremse nach 2021 würde die Bewältigung der Corona-Krise und dringend nötige Investitionen zur Erreichung der Klimaschutzziele de facto unmöglich machen. Um bedarfsgerechte Investitionen zu finanzieren, muss die Schuldenbremse deshalb dauerhaft ausgesetzt, zumindest aber um eine Investitionsregel erweitert werden, das heißt für Erhalt und bedarfsgerechten Ausbau der öffentlichen Infrastruktur eine Kreditaufnahme im Umfang der Nettoinvestitionen zu erlauben. Investitionen dürfen dabei allerdings nicht zulasten anderer staatlicher Aufgaben wie zum Beispiel Sozialleistungen gehen.
  • Weitere Unterstützung und Entschuldung der Kommunen: Trotz wachsender Ausgaben ist der Investitionsrückstand von Städten und Gemeinden in 2020 auf 147 Milliarden Euro angestiegen. Besonders gravierend ist der Nachholbedarf unter anderen in den Bereichen der Straßeninfrastruktur, Schulgebäude, Sport- und Bildungseinrichtungen sowie öffentlicher Gebäude. Damit Kommunen weiter in Infrastruktur investieren können, müssen ihre Einnahmeausfälle durch die Corona-Pandemie auch im Jahr 2021 ausgeglichen werden. Um den kommunalen Investitionsstau zu bewältigen, sind darüber hinaus Entschuldungshilfen sowie dauerhafte Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung notwendig. 
  • Die Mittel für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur müssen bedarfsgerecht aufgestockt und ökologisch nachhaltig ausgerichtet werden. Zur dauerhaften Minderung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor gibt es weiterhin enormen Handlungsbedarf: Für die Sanierung der Straßennetze vor allem in den Kommunen, den Erhalt und Ausbau der Bahninfrastruktur, Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Förderung von Elektromobilität, Fuß- und Radverkehr, sind erhebliche Investitionen notwendig. Als erste Schritte fordern wir eine vorgezogene schrittweise Erhöhung der GVFG-Mittel auf 2 Milliarden Euro in 2021 und 3 Milliarden Euro ab 2022.
  • Um einen kontinuierlichen Abfluss von Investitions- und Fördermitteln zu erreichen, braucht es zudem eine bessere Personalausstattung in den kommunalen Bau- und Planungsbehörden. Zu prüfen ist auch der Vorschlag, für solche Aufgaben kurzfristig einen zusätzlichen Pool an qualifizierten Fachkräften, zum Beispiel in einer bundeseigenen Beratungsgesellschaft zur Unterstützung der kommunalen Verwaltungen, zu schaffen.
  • Maßnahmen dürfen nur dann als "Öffentlich-private Partnerschaft" (ÖPP) vergeben werden, wenn deren langfristiger wirtschaftlicher Vorteil für die öffentliche Hand gegenüber klassischer Beschaffung durch eine neutrale kompetente Institution (Rechnungshof) transparent nachgewiesen wurde. Zudem müssen bei Vergabe, Bauausführung und Betrieb tarifliche und soziale Standards erhalten bleiben. 
  • Wir fordern bei allen öffentlichen Auftragsvergaben, dass die Zahlung von Tariflöhnen zwingend vorgeschrieben wird zum Beispiel durch ein Bundestariftreuegesetz und durch geeignete Vergabekriterien und Kontrollen sichergestellt wird, dass wichtige Kriterien "Fairer Arbeit" berücksichtigt werden.
  • Wir fordern die finanzielle und personelle Förderung für den Wiederaufbau und den Erhalt der Wälder. Dies sichert und reaktiviert die Wirkung der Wälder als CO2 Filter und ist als natürliche Lebensgrundlage unabdingbar.

III. Regeln durchsetzen, Recht bekommen – für "Faire Arbeit Jetzt!"

Entscheidend bleibt, dass die Politik bessere Rahmenbedingungen für einen fairen Arbeitsmarkt schafft. Dazu gehört:

1. Tarifbindung stärken!

Tarifverträge sichern faire Arbeit am besten. Deshalb fordert die IG BAU insbesondere folgende Maßnahmen: 

  • Das Engagement von Arbeitnehmer*innen in Gewerkschaften für faire Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen muss besser gefördert werden. Deshalb fordern wir spürbare steuerliche Vorteile für die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, zumindest dergestalt, wie sie bereits für die Mitgliedschaft in politischen Parteien vorgesehen sind. 
  • Tariftreue und wesentliche soziale und ökologische Kriterien für alle öffentlichen Aufträge und für Empfänger öffentlicher Zuwendungen im Sinne einer strategischen Ausrichtung bei der Verwendung öffentlicher Mittel zwingend vorschreiben, auch durch ein Bundestariftreuegesetz mit Vorbildfunktion. Insbesondere soll die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bei der Förderung von Privatpersonen und Unternehmen soziale Nachhaltigkeitsstandards wie zum Beispiel Zahlung von Tariflöhnen und Gesundheitsschutz als Fördervoraussetzungen anwenden.
  • Privathaushalte brauchen Anreize, haushaltsnahe Dienstleistungen stärker durch regulär Beschäftigte von Dienstleistungsunternehmen oder ähnliches ausführen zu lassen und nicht durch Selbständige. Darüber hinaus sind Internet-Plattformen (Helpling, myhammer et cetera) stärker in die Arbeitgeberverantwortung mit einzubeziehen, um Missbrauch und Dumpingstrategien auf dem Rücken der Beschäftigten und zu Lasten eines fairen Wettbewerbs zu unterbinden. 
  • Bei Unterauftragsvergaben sind die Auftraggeber stärker in die Verantwortung zu nehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse bei Werkvertragsnehmer*innen. Vergabe- und Tariftreuegesetze müssen entsprechend gestaltet und ihre Umsetzung kontrolliert werden. Die Auftraggeberhaftung ist auf staatliche Auftraggeber*innen auszudehnen. 

2. Effiziente Arbeitsinspektion aufbauen! 

Heute sind viele unterschiedliche Institutionen für die Kontrolle und Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten oder Sozialvorschriften zuständig. Vielen fehlt es an Personal, und oft arbeiten die Institutionen unkoordiniert nebeneinander.

In einem ersten Schritt müssen diese Institutionen personell aufgestockt werden. Im Fall der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist eine Aufstockung auf mindestens 10 000 Mitarbeiter notwendig, die auch tatsächlich für die originären Aufgaben der Finanzkontrolle Schwarzarbeit einzusetzen sind. Perspektivisch muss eine Arbeitsinspektion aufgebaut werden, die eine koordinierte und effiziente Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Arbeitnehmerrechte und Sozialvorschriften als übergeordnete Behörde sicherstellt. Dies wird in anderen Ländern wie zum Beispiel in Frankreich und Spanien bereits praktiziert. 

An einer solchen Arbeitsinspektion sind die Tarifvertragsparteien über Beiräte oder ähnlich zu beteiligen. Wenn Gewerkschaften oder Betriebsräte Hinweise an die Arbeitsinspektion herantragen, muss dies zu Ermittlungen führen. 

Die Arbeitsinspektion benötigt zudem erweiterte Befugnisse. Zum Beispiel muss sie im Falle von Mindestlohnverstößen Nachzahlungen an Beschäftigte veranlassen dürfen. Heute kann sie nur Bußgelder beziehungsweise Strafen gegenüber dem*der Arbeitgeber*in verhängen. 

Die Arbeitsinspektionen müssen international verbindlich miteinander vernetzt werden, um grenzüberschreitenden Lohnbetrug und Sozialabgabenhinterziehung besser bekämpfen zu können. Hierzu leistet die Europäische Arbeitsbehörde (EAB) einen wichtigen Beitrag. Sie muss so aufgebaut werden, dass sie ihrem Auftrag auch gerecht werden kann. Dazu gehört vor allem die Durchführung grenzüberschreitender gemeinsamer und koordinierter Kontrollen, an denen sich deutsche Arbeitsinspektionen beteiligen müssen. Zudem soll die EAB den Austausch von Daten zwischen den Behörden der EU-Mitgliedsstaaten verbessern. Arbeitsinspektionen und Sozialversicherungen aus Deutschland müssen bestehende Datenaustauschsysteme (zum Beispiel EESSI) und die EAB aktiv nutzen, um Verstöße durch Unternehmen im Arbeits- und Sozialrecht aktiv zurückzudrängen.

Die Bundesregierung muss sich zudem auf europäischer Ebene für die Einführung einer EuropäischenSozialversicherungsnummer und ein europäisches Sozialversicherungsregister einsetzen. Mit diesem kann in Echtzeit der Sozialversicherungsstatus mobiler Beschäftigter ermittelt werden. 

3. Elektronische SozialversicherungsCard mit fairer Arbeitszeiterfassung einführen ("Elektronische Stechuhr")!

Bereits heute setzen Arbeitgeber*innen Smartphones ein, um Beschäftigtendaten zu erfassen, die außerhalb des Betriebes arbeiten. Das geschieht oft vorbei an Mitbestimmungsgremien und am Rande der Legalität. 

Deswegen brauchen wir branchenweite Systeme, die die Arbeitszeit am jeweiligen Arbeitsort fair und fälschungssicher dokumentieren – ohne dass wir zu "gläsernen Beschäftigten" werden. Die Umsetzung muss durch außerbetriebliche Institutionen erfolgen und Mitbestimmungs- beziehungsweise Datenschutzrechte müssen beachtet werden. Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, der die Schaffung solcher Systeme unter Mitwirkung der Tarifvertragsparteien insbesondere auch über gemeinsame Einrichtungen fördert. Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung (EuGH, Urt. v. 14.05.2019 - C-55/18) ist so umzusetzen, dass geleistete Überstunden lückenlos aufgezeichnet und entlohnt werden. 

Eine im Sinne der Beschäftigten gestaltete Erfassung von Arbeitsort und -zeit ist ein wichtiger Schritt gegen unbezahlte Überstunden, gegen den Missbrauch von Minijobs und für das Recht auf Feierabend ("Work-Life-Balance"). Die Digitalisierung bietet die Chance, dies auch für mobile Beschäftige durchzusetzen, die nicht im Betrieb ihres*ihrer Arbeitgebers*Arbeitgeberin arbeiten – also für viele Beschäftigte in der Bauwirtschaft, der Gebäudereinigung oder der Agrarwirtschaft. 

4. Verbandsklagerecht für Gewerkschaften einführen!

Beschäftigte trauen sich oft nicht, gegen Rechtsverstöße ihres*ihrer Arbeitgebers*Arbeitgeberin zu klagen oder auch nur eine Klage anzudrohen. Deswegen benötigen wir als Gewerkschaft ein Verbandsklagerecht. Dann können wir gegen Verstöße klagen oder dies androhen. 

5. Subunternehmerketten begrenzen!

Die Länge von Subunternehmerketten muss auf höchstens zwei Glieder bei Unterauftragsvergaben begrenzt werden. In anderen Ländern der EU gibt es bereits ähnliche Regelungsansätze. Zudem müssen die Subunternehmen wenigstens einen Teil des Auftrages selbst mit eigenen Beschäftigten ausführen. Bei öffentlichen Auftraggeber*innen ist zusätzlich sicherzustellen, dass bereits bei Angebotsabgabe die Namen der gegebenenfalls zu beauftragenden Subunternehmen verbindlich genehmigt werden und die Auftraggeberhaftung auf staatliche Auftraggeber*innen ausgedehnt wird. 

6. Voller Sozialversicherungsschutz für 450-Euro-Jobs, "70-Tage-Regelung" bei geringfügiger Beschäftigung abschaffen!

Die Regelung, nach der Minijobs und kurzfristige geringfügige Beschäftigung (die sogenannte 70-Tage-Regelung) unter gewissen Umständen am Arbeitsort sozialversicherungsfrei sind, führt in der Praxis dazu, dass sehr viele Minijober*innen und Saisonbeschäftigte gerade in der Gebäudereinigung und Landwirtschaft unzureichend sozialversichert sind. Dies hat einen mangelnden Sozialschutz der Beschäftigten zur Folge, der gerade vor den Erfahrungen aus der Pandemie jederzeit geboten ist. Die IG BAU plädiert daher für eine ersatzlose Streichung der Sozialversicherungsfreiheit bei 450-Euro-Jobs und der 70-Tage-Regelung.

7. Verbindliche Mindeststandards für Unterkünfte von mobilen Beschäftigten

Die IG BAU fordert verbindliche Mindeststandards zu Unterkünften für mobile Beschäftigte. Bei von dem*der Arbeitgeber*in zur Verfügung gestellten Unterkünften, unabhängig davon, ob diese direkt oder indirekt von dem*der Arbeitgeber*in zur Verfügung gestellt werden, müssen verbindliche Mindeststandards gelten, zum Beispiel in Bezug auf die Belegung der Zimmer, die Größe der Unterkünfte und Zimmer und die Sanitäranlagen. Die Mindeststandards für Unterkünfte müssen nicht nur auf dem Betriebsgelände, sondern auch bei "privater" Unterbringung zum Beispiel in Wohnungen, Pensionen, Bauarbeiterunterkünften et cetera gelten. Die Wohnverhältnisse mobiler Beschäftigter müssen so gestaltet sein, dass Krankheitsübertragungen verhindert werden. Eine Mehrfachzimmerbelegung mit bis zu acht Personen wird diesem Anspruch nicht gerecht. Die Einhaltung der festgelegten Standards muss streng kontrolliert werden. Mietzahlungen dürfen nicht an die Zahlung der Löhne gekoppelt werden und dürfen gemessen an der Qualität der Unterkunft nicht überhöht sein. 

8. Beschäftigtenzuwanderung aus Drittstaaten fair gestalten

In den von der IG BAU vertretenen Branchen sind Beschäftigte aus Drittstaaten häufig mit widrigen Arbeitsbedingungen konfrontiert. Saisonbeschäftigte aus der Ukraine werden als studentische Praktikanten zu ganz normaler Erntearbeit eingesetzt. Beschäftigte aus dem Westbalkan, die zum Beispiel über Slowenien nach Deutschland entsandt werden, müssen unbezahlte Überstunden leisten. Das Aufenthaltsrecht muss daher überarbeitet werden. Die Beschäftigtenzuwanderung aus Drittstaaten darf zum Schutze der Beschäftigten nur zu fairen und tarifvertraglich abgesicherten Bedingungen erfolgen. Die Prüfung der Beschäftigungsbedingungen muss anhand tarifvertraglich festgelegter  Standards erfolgen, so dass die Beschäftigten auch tatsächlich Tariflöhne erhalten. Insbesondere müssen die Arbeitsbedingungen auch nach Einreise vor Ort kontrolliert werden. Die Beschäftigungsbedingungen dürfen nicht alleine auf Grundlage der eingereichten Unterlage erfolgen. Zudem ist das arbeitsrechtliche Beratungsangebot in den Muttersprachen der Beschäftigten weiter auszubauen und zu stärken.  

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