"Aufschwung Wohnen" in den ersten 100 Tagen Schwarz-Rot
Wohnungsbau-Tag warnt vor "Wohnungsnot plus" / Studie: 9,6 Millionen Menschen in überbelegten Wohnungen
Die künftige Bundesregierung müsse jetzt alles daransetzen, die Wohnungsnot und explodierende Mieten in den Griff zu bekommen. "Es geht darum, den 'sozialen Sprengstoff Nr. 1' schleunigst zu entschärfen", so die Mahnung der sieben Partner im Verbändebündnis Wohnungsbau, das den Wohnungsbau-Tag organisiert.
Auf dem Branchen-Gipfel richteten sie eine 100-Tage-Forderung nach einem "Aufschwung Wohnen" an die neue Bundesregierung: Kernpunkt ist eine Neubau-Offensive. Um die finanziell stemmen zu können, müsse Deutschland künftig einfacher und damit um bis zu einem Drittel günstiger bauen.
Dann seien für 100 000 neu gebaute Sozialwohnungen pro Jahr elf Milliarden Euro an Förderung von Bund und Ländern erforderlich. Werde nach bisherigem Standard gebaut, müsste der Staat dagegen jährlich 15 Milliarden Förder-Euro in den sozialen Wohnungsbau investieren. Außerdem soll für den Sozialwohnungsbau die Mehrwertsteuer komplett entfallen: "Ein entschlossenes 0,0-Prozent-Steuer-Signal des Staates für mehr Wohnungen, auf die sozial schwache Haushalte dringend angewiesen sind", fordert das Wohnungsbau-Bündnis.
Darüber hinaus seien für 60 000 bezahlbare Wohnungen pro Jahr bei einfacherem Baustandard mindestens vier Milliarden Euro an Subventionen vom Staat notwendig. Werde weiterhin nach gängigem Standard gebaut, müsse der Staat dagegen eine jährliche Förderung von acht Milliarden Euro für das bezahlbare Wohnen aufbringen.
Die Berechnungen dazu liefert eine aktuelle Wohnungsbau-Studie, die auf dem Branchen-Gipfel vorgestellt wurde. Darin hat das schleswig-holsteinische Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) gemeinsam mit dem Berliner Forschungsinstitut RegioKontext im Auftrag des Wohnungsbau-Tages untersucht, was die neue Bundesregierung dringend machen muss, um den in die Krise geratenen Wohnungsbau rasch anzukurbeln und die Weichen für mehr Neubau in diesem Jahrzehnt zu stellen. Der Titel der Studie: "Bauplan D 2030".
Die Branchen-Verbände fordern eine Trendwende beim Wohnungsbau: einen "Neubau-Turbo". Jetzt sei Tempo notwendig. Dabei zeigte der Wohnungsbau-Tag auf, wie die Trendwende konkret gelingen kann – und zwar mit Blick auf die Kosten: "Bauen geht in guter Qualität auch deutlich günstiger als es heute passiert: 25 Prozent lassen sich beim Neubau von Wohnungen sparen. Genau darin liegt der Schlüssel für die 'Mehr-Bau-Chance', die Deutschland dringend braucht", so Prof. Dietmar Walberg auf dem Wohnungsbau-Tag. Der Leiter des schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstituts ARGE sieht sogar noch weiteres Sparpotential: "Im Idealfall lassen sich die Kosten sogar um bis zu einem Drittel reduzieren. Und dabei werden immer noch alle Standards und Vorschriften eingehalten – vom Lärm- und Brandschutz bis zu den Klimaschutzauflagen."
Konkret gehe es um einen "Gebäude-Typ E": "Das E steht dabei für einfacheres Bauen – für den Regelstandard 'Erleichtertes Bauen'. Aber auch für erfolgreiches Bauen: In Schleswig-Holstein sind damit gerade attraktive Mietwohnungen fertig geworden, bei denen die reinen Baukosten – also ohne Grundstück, Planung, Außenanlage – im Schnitt bei nur 2 230 Euro pro Quadratmeter liegen", so Prof. Dietmar Walberg. Deutschland müsse anfangen, flächendeckend das Label "gut & günstiger" an seinen Wohnungsneubau zu kleben.
Die Chance, beim Neubau von Wohnungen zu sparen, liege unter anderem in einer geringeren Stärke von Decken und Außenwänden. Auch weniger Pkw-Stellplätze und der Verzicht auf Tiefgaragenplätze machten das Bauen günstiger. Abstellräume sollten von der Wohnung in den Keller gelegt werden. Außerdem sollte beim Lärm- und Klimaschutz – etwa durch dreifach verglaste Fenster – nicht überzogen werden. Der geltende Standard reiche völlig. Vor allem spare er Baustoff- und damit auch Energieressourcen. Überhaupt ließe sich von der Haustechnik bis zur Einbauküche durch weniger High-End-Produkte deutlich mehr Geld einsparen. "Das alles macht das Bauen günstiger. Außerdem reduziert es die notwendige staatliche Förderung. So lassen sich unterm Strich mehr Sozialwohnungen und mehr bezahlbare Wohnungen fördern und damit neu bauen", so Prof. Dietmar Walberg.
Dass mehr Neubau notwendig ist, macht die Wohnungsbau-Studie deutlich: So fehlen aktuell bundesweit mehr als 550 000 Wohnungen. 9,6 Millionen Menschen – und damit elf Prozent der Bevölkerung – leben nach Angaben der Wissenschaftler in überbelegten Wohnungen. Das sind 1,1 Millionen mehr als noch vor fünf Jahren. In Mittel- und Großstädten lebe mittlerweile sogar jeder Sechste mit zu vielen Menschen in einer zu kleinen Wohnung.
"Es gibt 'Zwangs-WGs' nach Scheidungen. Fremde wohnen unter einem Dach, die eigentlich nicht zusammenleben wollen. Junge Erwachsene ziehen wieder zu den Eltern zurück. Gerade in Großstädten hoppen viele von einer Untermiete zur anderen. Es gibt Menschen, die von einem Wohnen auf Zeit zum nächsten teuren möblierten Zimmer weiterziehen müssen", sagt Arnt von Bodelschwingh.
Der Leiter des Forschungsinstituts RegioKontext sieht die "kritische Infrastruktur Wohnen" in Gefahr: "Viele fahren stundenlang und kilometerweit zum Arbeitsplatz. Sie zahlen die Spritkosten extra, weil sie sich die Miete in der Stadt, in der sie arbeiten, nicht mehr leisten können. Das alles passiert, wenn Lohn und Wohnkosten bei massivem Wohnungsmangel immer krasser auseinanderlaufen. Die Menschen, die sich das Wohnen am wenigsten leisten können, leiden dabei am meisten", so das Fazit von Arnt von Bodelschwingh.
Die Wissenschaftler warnen vor einem "Wohnungsbau-Kollaps": Bei den Baugenehmigungen habe es einen enormen Einbruch gegeben. So hätten Bauämter im vergangenen Jahr nur noch knapp 216 000 Wohnungen genehmigt. Das sei ein Rückgang von 43 Prozent in nur drei Jahren. "Passiert jetzt nichts, dann wird das, was kommt, noch schlimmer, als wir es heute schon erleben. Der Einbruch bei den Baugenehmigungen ist der Vorbote für einen rapiden Absturz bei den Fertigstellungen. Dann haben wir eine 'Wohnungsnot plus' – nämlich plus 'Neubau-Not'", sagt Prof. Dietmar Walberg.
Was aktuell noch gebaut werde, sei durchfinanziert. Danach schlage der Zinshammer zu: "Für jeden Quadratmeter Wohnfläche müssen im Neubau heute rund fünf Euro pro Monat nur für Zinsen hereingeholt werden. Vor fünf Jahren war das noch ein Euro", so Studienleiter Prof. Walberg. Insgesamt müssten Investoren und private Bauherren für jeden Quadratmeter Wohnfläche heute deutlich tiefer in die Tasche greifen: So seien die Kosten für das Bauwerk – also ohne Grundstück – in den letzten 25 Jahren bundesweit im Schnitt um das 2,5-Fache nach oben gegangen. Allein in den letzten fünf Jahren habe es einen rasanten Preisanstieg von gut 32 Prozent gegeben. Kostentreiber dabei sei vor allem die Technik – also Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektro.
Es komme deshalb jetzt darauf an, solide zu bauen – mit scharfem Blick auf die Kosten. "Das bedeutet: einfaches Bauen. Orientiert an dem, was gemacht werden muss – am notwendigen Regelstandard. Also keine High-End-Wohnungen mehr – jedenfalls nicht mit Geld vom Staat. Der sollte schleunigst dazu übergehen, nur noch den 'Gebäude-Typ E' zu fördern", so Prof. Dietmar Walberg. Denn solche Wohnhäuser hätten weniger Extras, seien robuster und damit weniger aufwendig in der Unterhaltung. Vor allem aber seien sie günstiger.
Das Verbändebündnis Wohnungsbau fordert die neue Bundesregierung auf, verlässliche Mittel für den Wohnungsbau als wichtigen Teil der Infrastruktur bereitzustellen: "Das Geld, das der Staat in den Wohnungsbau investiert, muss 'sicheres Geld' sein. Der Neubau von Wohnungen darf nicht länger von einer schwankenden staatlichen Kassenlage abhängig sein." Außerdem müsse der Bund ein Zinsverbilligungsprogramm auflegen: "Ein Zins-Zickzack-Kurs an den Finanzmärkten würgt den Wohnungsbau ab. Der Bund muss jetzt mit einem 1-Prozent-Zinssatz solide Finanzierungen für den Neubau von Wohnungen möglich machen. Die Niedrigzins-Garantie sollte er allerdings an eine Beschränkung der Miethöhe koppeln", fordert das Branchen-Bündnis.
Um einen aktuellen Status über die Aktivität des Wohnungsbaus zu bekommen, fordert das Branchen-Bündnis eine monatliche "Bundesstatistik der Baubeginne". Es sei wichtig, genau zu wissen, für wie viele Wohnungen der Bau neu begonnen habe. Denn diese würden in der Regel auch fertiggestellt. Bei Baugenehmigungen, die bereits bundesweit statistisch erfasst werden, sei dies anders: "In einer Baugenehmigung kann keiner wohnen. Es können fünf lange Jahre vergehen, bis aus einer Baugenehmigung eine Wohnung wird. Außerdem wird längst nicht aus jeder Baugenehmigung am Ende auch eine Wohnung", so das Verbändebündnis Wohnungsbau. Die bereits geführte Statistik über fertiggestellte Wohnungen ziehe zwar jeweils eine Neubau-Bilanz vom Vorjahr. Diese sei aber ungeeignet, die Neubauaktivität – mit wohnungsbaupolitischen Instrumenten – aktuell und damit flexibel zu steuern.
Den Wohnungsbau-Tag organisieren einmal im Jahr der Deutsche Mieterbund (DMB) und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB), dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), dem Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) und der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) als Dachverband der Mauerstein-Industrie. Koordiniert wird der Wohnungsbau-Tag vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB).
Statement von Robert Feiger, IG BAU-Bundesvorsitzender:
Die neue Bundesregierung muss beweisen, dass sie Wohnungsbau besser kann als ihre Vorgängerin. Denn der akute Wohnungsmangel und die steigenden Mietpreise belasten Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland – und damit auch den sozialen Frieden.
Daher muss der soziale und bezahlbare Wohnungsbau jetzt endlich die notwendigen finanziellen Mittel von Bund und Ländern erhalten. Dabei darf die Schuldenbremse kein Hindernis sein. Zudem braucht es flächendeckende Regelstandards, um kostengünstige Bauweisen zu erleichtern, also effizient zu fördern. Und schließlich müssen die Kommunen Bauland bereitstellen und dafür sorgen, dass die Grundstückspreise den Wohnungsbau nicht noch weiter verteuern.
Wohnen ist ein Grundrecht, und die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum muss als Teil der Daseinsvorsorge gelten. Wir brauchen von der neuen Bundesregierung mutige Entscheidungen und klare Prioritäten.
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