Arbeitsbedingungen im Ökosektor
Der Artikel "Fairness Fehlanzeige?" aus der Ö&L Ausgabe 01/2020 beleuchtet das Thema sehr einseitig und erfordert aus unserer Perspektive in vielen Punkten eine verbesserte Einordnung. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Ö&L die Thematik aufgreift. Arbeitsbedingungen werden im Ökosektor viel zu selten diskutiert und die Rechte der Angestellten allzu oft als Hemmnis der individuellen unternehmerischen Entwicklung dargestellt. Dabei ist das Gerechtigkeitsprinzip nach IFOAM ein Grundpfeiler des Ökolandbaus. Auf dieser Grundlage müssen die Rechte von Angestellten eingefordert und auch kontrolliert werden.
Der Artikel gibt vor allem Stimmen der Arbeitgeber*innenseite wieder. Zwar kommt ein Gewerkschaftssekretär von ver.di zu Wort, jedoch ist erstaunlich, dass Angestellte selbst und vor allem die an den Betriebsratsgründungen und den versuchten Gründungen bei Alnatura und Dennree beteiligten, nicht gehört werden. Im Gegensatz dazu wird Alnatura-Chef Götz Rehn reichlich Raum eingeräumt. Er sieht keine Konflikte zwischen Kapital und Arbeit bei Altnatura und bezeichnet seinen Betrieb als Organismus. Fakt ist aber, dass Alnatura in einem bekanntgewordenen Fall (Betriebsratsgründung in einer Filiale in Bremen) extrem aggressiv und mit klassischen Mitteln des Union Bustings gegen Betriebsräte vorgeht. Die Wahl der Interviewpartner*innen macht deutlich, dass die Meinung der Betroffenen, die mehr Mitspracherechte in ihren Betrieben fordern, hier nicht gefragt ist. Dagegen wird behauptet, es gebe im Ökobereich mehr Mitsprachemöglichkeiten als im konventionellen Handel. Konkrete Beispiele hierfür werden nicht genannt, sondern auf nur auf rechtlich verankerte Mitspracherechte verwiesen, die übrigens in anderen Branchen und Handelsunternehmen zur unhinterfragten Normalität gehören (Betriebsräte, Tarifbindung und Ähnliches).
Die Tatsache, dass auch bei Dennree erst im Jahr 2019 und nach einigen Mühen ein Betriebsrat gewählt werden konnte, bleibt im Artikel unkommentiert. Zudem geht es nicht allein um Mitsprache, sondern um MitBESTIMMUNG. Es ist ein weltweites Menschenrecht, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren und damit seine Rechte im Arbeitsleben einzufordern. In Deutschland kommt die betriebliche Mitbestimmung hinzu. Um den Artikel richtig einordnen zu können, ist es ist außerdem notwendig, die heterogene Marktstruktur im Ökohandel zu berücksichtigen. Hier werden im Artikel gründlich und nach Belieben Großes und Kleines, Produktion und Handel, vermischt. Es grenzt an blanken Hohn, wenn die Bio-Discounter Dennree (über 1 Milliarden Euro Umsatz, 5900 Mitarbeiter*innen im Jahr 2018) oder Alnatura (910 Millionen Euro Umsatz, 3250 Mitarbeiter*innen) mit kleinen Naturkostläden oder gar Bioladen-Kollektiven (die sich natürlich auch an geltende Mitbestimmungsrechte halten müssen) gleichgesetzt werden. Gerade kleinere Läden stehen wegen ebendieser Ketten unter massivem wirtschaftlichem Druck.
Sicherlich kann die Ökobranche "neue Mitbestimmungs- und faire Teilhabeprozesse im kleineren Maßstab ausprobieren", allerdings gibt es keinen Grund, warum diese als Alternative zu bestehenden Mitbestimmungsrechten und nicht zusätzlich zu diesen existieren sollten. Die Biobranche müsste vielmehr bei Sozialstandards und Mitbestimmung ein Vorbild darstellen und aus unserer Perspektive an einer engen Zusammenarbeit mit Gewerkschaften interessiert sein. Der Artikel schlägt vor, Handelszusammenschlüsse im Ökosektor zu stärken, um bessere Arbeitsbedingungen in der Branche zu etablieren. Leider hat Marktkonzentration noch nie zu mehr Mitbestimmung geführt, sondern dies sind immer Arbeiter*innen gewesen, die, organisiert in Gewerkschaften, für ihre Rechte gekämpft haben. Dies gilt für die Lohnhöhe genauso wie für Urlaub und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In Bioläden/-Supermärkten wird das Gefühl vermittelt, mit jedem Einkauf etwas Gutes zu tun. Das Schlimme an dieser Illusion ist, dass sie den Blick auf die wirklichen Verhältnisse verschleiert, eine scheinbare Alternative anbietet und somit wirklicher Kritik an den Verhältnissen und damit auch Möglichkeiten für die Entwicklung von Alternativen, wie im Artikel vorgeschlagen, behindert. Es ist unmöglich, dieses Bild glaubwürdig auf Dauer zu erhalten, wenn grundsätzliche Rechte der Beschäftigten in Frage gestellt werden.
Zum Weiterlesen:
Kramer, Bernd 2019. Alnatura: Alles fair, bis auf die Mitbestimmung? Die Zeit.